Im öffentlichen Raum sein Gesicht zeigen: ein Gebot zivilisierten Verhaltens

(Referat, gehalten anlässlich der Medienkonferenz zum Start der Kampagne «Ja zum Verhüllungsverbot» am 14. Januar 2021 in Bern; es gilt das gesprochene Wort)

Ist unsere Initiative eine Antwort auf ein reales Problem oder jagt sie nur einem «Hirngespinst» nach? Sofern wir nicht mit Blindheit geschlagen sind, können wir alle Frauen sehen, die sich mit Gesichtsverhüllung – zumeist einem Niqab – im öffentlichen Raum bewegen, dies selbst in einer kleinen Stadt wie Sitten. Zum Glück nicht jeden Tag, aber wir sehen sie doch. Tendenz steigend. Schon im nahen Ausland, zum Beispiel in Frankreich, können wir sehr gut beobachten, was unserem Land blühen wird, falls wir nichts unternehmen, um diese Entwicklungen zu verhindern. Es ist daher unsere Pflicht gegenüber unseren Kindern, den Anfängen zu wehren. Die Initiative hat somit ein klar präventives Ziel.

Der Bundesrat hat dies eingesehen und bereits auf den ersten Seiten seiner Botschaft eingeräumt, dass «es Fälle gibt, in denen das Tragen gesichtsverhüllender Kleidungsstücke problematisch sein kann». Daher sein Antrag auf einen indirekten Gegenvorschlag, den die Mehrheit des Parlaments nach einer Reihe von Anpassungen angenommen hat. Wir dürfen uns aber nicht irreführen lassen. Dieser Gegenentwurf ist vor allem eine Nebelkerze, die dazu dienen soll, unsere Initiative zu torpedieren, weil diese bis in die Reihen der Linken zu überzeugen vermag. Auch die hellsten Köpfe unter den Linken haben begriffen, dass unser Kampf gegen die Diskriminierung, gegen dieses unerträgliche Symbol der Unterwerfung der Frau, gegen diese Form der Misshandlung, ja der Entfremdung, gegen Intoleranz und Obskurantismus, auch nur der ihrige sein kann, da sie ansonsten Gefahr liefen, wider die eigenen Urprinzipen zu handeln.

Das Problem ist also sehr real, und die gesellschaftlichen Kernfragen, um die es geht, betreffen uns alle – über die politischen Gräben hinweg.

Wie ich bereits erwähnte, ist die Würde der Frau eine dieser Kernfragen. Etwas mehr als ein Jahr nach dem Frauenstreik stehen diejenigen, die behaupten, sich für die Würde und die Gleichberechtigung der Frau zu engagieren, vor einer grossen Herausforderung: Sie müssen den Prinzipien treu bleiben, die im Juni 2019 lautstark bekräftigt wurden.

Wir werden insofern herausgefordert, als wir nicht zulassen dürfen, dass unsere Verfassungsgrundsätze, die Grundsätze einer liberalen Gesellschaft, von Leuten instrumentalisiert werden, die in Wirklichkeit versuchen, diese durch eine andere Rechtsordnung zu ersetzen. Durch eine Ordnung aus einer anderen Zeit, die unseren Traditionen fremd ist und die wir ablehnen.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, eine Zivilisation zu verteidigen, in der das Gesicht seit jeher ein Mittel der Identifikation und des Ausdrucks von Emotionen, aber auch des Respekts gegenüber anderen ist. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die CVP in einem Dokument mit dem Titel «Rechtsstaat und Fundamentalismus», das als Diskussionsgrundlage zum Zusammenleben in der Schweiz veröffentlicht wurde, gleich wie unsere Initiative die klare Auffassung vertritt, «dass in der Öffentlichkeit das Gesicht gezeigt werden soll, dies sowohl aus gesellschafts- als auch aus sicherheits- und integrationspolitischen Gründen.»

Wir müssen die Dinge beim Namen nennen: Wir befinden uns in einem Kampf der Zivilisationen und daher, ohne Übertreibung, auch in einem Zustand der Notwehr gegen die Islamisierung Europas und insbesondere unseres Landes. Wir sind gegen die Verbreitung dessen, was nicht nur ein Kleidungsstück und nicht einmal in erster Linie ein religiöses Symbol ist, sondern ein politisches Symbol, nämlich ein Symbol des Fortschreitens des politischen Islams in einem «ungläubigen Land». Statt den indirekten Gegenentwurf zu unterstützen und dadurch ein Alibi-Gesetz zur Integration anzunehmen, sollten wir es wagen, entschlossen gegen das Tragen dieses ostentativen Symbols des Kommunitarismus und der Integrationsverweigerung zu kämpfen. Und vergessen wir nicht, was eine wichtige Figur der Sozialdemokratischen Partei, die heute Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes ist, 2016 sagte: «Wenn die Gesellschaft sagt, was sie nicht duldet, stärkt sie die Frauen, die im inneren Kreis für ihre Freiheit kämpfen.»

Verteidiger der Freiheit und Würde der Frauen aller Parteien, Verteidiger einer liberalen Gesellschaft, vereinigen wir uns! Stoppen wir den Extremismus und wagen wir es, Ja zu dieser Initiative, Ja zum Verhüllungsverbot zu sagen!

Jean-Luc Addor, Nationalrat VS, Mitglied des Initiativkomitees