Das Burkaverbot und die arabischen Touristen und Touristinnen

(Referat, abgegeben anlässlich der Medienkonferenz zum Start der Kampagne «Ja zum Verhüllungsverbot» am 14. Januar 2021 in Bern; es gilt das gesprochene Wort)

Den Gegnern der Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot», über die am 7. März abgestimmt wird, gehen in ihrem Bestreben, die Schweizer Bürgerinnen und Bürger von einer Ablehnung zu überzeugen, die Ideen aus. Sie wissen sehr wohl, dass der islamische Ganzkörperschleier (Burka oder Niqab) der grossen Mehrheit der Einwohner unseres schönen Landes missfällt, genauso wie den rund 500’000 bei uns lebenden Muslimen (1970 waren es 12’000…). Und so bemühen sie sich, dem Souverän einzureden, dass bei einer Annahme der Initiative reiche Touristen aus den Golfstaaten die Schweiz meiden und anderswo Ferien machen würden, was für die Tourismusbranche und unsere Wirtschaft schwere finanzielle Verluste zur Folge haben würde.

Werte sind wichtiger als Geld

Auch unter der Annahme, dass dies stimme, hätten die Schweizerinnen und Schweizer hier eine gute Gelegenheit zu zeigen, dass Werte wie die Gleichstellung von Frau und Mann gegenüber dem Geld Vorrang haben müssen. Aber die Ängste, die von geldfokussierten Reiseveranstaltern oder von denjenigen, die aus ideologischen Gründen die so genannte «Freiheit», die Burka zu tragen verteidigen, geschürt werden, sind auf jeden Fall unbegründet.

Der Beweis dafür wurde bereits 2009 geliefert, als die Schweizerinnen und Schweizer die Minarettverbots-Initiative angenommen haben. Schon damals sagten Schwarzmaler voraus, arabische Touristen würden nie wieder in die Schweiz kommen. Aber tatsächlich ist deren Zahl nicht nur nicht zurückgegangen, sondern sie ist in den letzten zehn Jahren sogar erheblich gestiegen. Weil die Schweiz ein sehr schönes Land ist und weil reiche arabische Touristen sich an die Gesetze anzupassen sowie die Landschaften, die Sauberkeit und die Qualitätswaren zu schätzen wissen.

Arabische Touristinnen schätzen das Burkaverbot im Tessin

Im Tessin, wo seit dem 1. Juli 2016 ein Verhüllungsverbot in Kraft ist, stieg die Zahl der arabischen Touristen von 17’203 im Jahr 2015 zunächst leicht an und ging dann in den folgenden drei Jahren leicht zurück. Allerdings machen die arabischen Touristen (13’195 im Jahr 2019) nur etwas mehr als 1 Prozent der Touristen aus, die jedes Jahr das Tessin besuchen (insgesamt 1’110’128 im Jahr 2019), so dass der geringe Rückgang rein statistisch gesehen kaum Auswirkungen auf die Gesamtzahlen hat und von verschiedenen vorübergehenden Faktoren abhängig sein kann.

Hervorzuheben ist, dass auch nach der Einführung des Vollverschleierungsverbots die Mehrheit der arabischen Touristinnen und Touristen, die das Tessin besucht haben, dies weiterhin tut, und dass sich so gut wie alle problemlos an das Verbot halten. Die saudische Botschaft in der Schweiz forderte ihre Bürger übrigens via Twitter (https://www.swissinfo.ch/ger/dress-code_saudi-arabien-ersucht-seine-buerger-das-tessiner-burka-verbot-zu-respektieren/42225598) auf, dem Tessiner Gesetz Folge zu leisten, um keine Probleme zu verursachen, genauso wie Schweizer Touristinnen und Touristen es bei Reisen in muslimische Länder zu tun haben.

In der Zeitung Le Matin dimanche vom 11. September 2016 schilderte die Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, Frau Saïda Keller-Messahli, wie mehrere saudische Touristinnen, die sie getroffen hatte, ihr gesagt hätten, die Möglichkeit, im Tessin im öffentlichen Raum unverschleiert herumzulaufen, sei für sie eine sehr angenehme Erfahrung gewesen.

«Entdecken Sie die Schweiz unverhüllt»

Viele dieser armen Frauen, die in ihren Heimatländern gezwungen werden, ihr Leben lang den Vollschleier zu tragen, haben daher die «vorläufige Freiheit», die sie im Tessin gerade dank eines Verbots geniessen durften, sehr geschätzt. Und wir Schweizerinnen und Schweizer, die seit mehreren Monaten aufgrund der Corona-Pandemie eine Schutzmaske tragen müssen, können ihre Freude gut nachempfinden.

So könnte ein allgemeines Verbot der Vollverschleierung in der Schweiz die Kreativität und den Einfallsreichtum unserer Reiseveranstalter anfeuern, die statt zu jammern Werbekampagnen (z.B. «Entdecken Sie die Schweiz unverhüllt!») lancieren könnten, die sich an arabische Frauen richten, welche es erleben möchten, im öffentlichen Raum ohne Gesichtsschleier spazieren zu dürfen. Dies könnte auch muslimischen Touristinnen helfen, sich im eigenen Land zu emanzipieren.

Alle müssen vor dem Gesetz gleich sein

Manche Gegner meinen, die Initiative hätte wenigstens für Touristen und nicht nur aus Gründen der Gesundheit, der Sicherheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums Ausnahmen vorsehen können. Sie argumentieren, es ergebe keinen Sinn, Touristinnen, die nicht ihren Wohnsitz in der Schweiz haben, in unsere offene Gesellschaft zu integrieren. Sie übersehen dabei, dass das Hauptziel der Initiative nicht darin besteht, die Integration von Musliminnen, die den Vollschleier tragen wollen oder dazu gezwungen werden, zu erleichtern (dies wäre, in der Tat, eine positive Folge), sondern in der Verteidigung unserer Zivilisation. Es geht darum, der Verbreitung eines islamistischen Symbols der Unterdrückung der Frau, eines Symbols, das die Bedingungen des Zusammenlebens bedroht und den Schutz der Rechte und Freiheiten derjenigen untergräbt, die in unserer demokratischen Gesellschaft unverhüllt leben wollen, einen Riegel vorzuschieben.

Dieser gesellschaftspolitische Konsens wäre geschwächt, könnten Tausende von muslimischen Touristinnen sich mit verhülltem Gesicht frei in unserem Land bewegen. Dies würde die Umsetzung des Verbots noch wesentlicher erschweren und zu einer Ungleichbehandlung gegenüber der in der Schweiz lebenden Musliminnen führen. Alle müssen vor dem Gesetz gleich sein.

Giorgio Ghiringhelli, Mitglied des Initiativkomitees