Vernehmlassungsantwort zum Entwurf eines Bundesgesetzes über das Gesichtsverhüllungsverbot

(Indirekter Gegenvorschlag Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot»)

Dies die Stellungnahme des Egerkinger Komitees zum indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates, die wir als Initianten des betreffenden Volksbegehrens abgeben.

Grundsatz

Die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» verfolgt den Grundsatz, dass es in aufgeklärten europäischen Staaten wie der Schweiz zu den zentralen, unveräusserlichen Grundwerten des Zusammenlebens gehört, dass die Menschen im persönlichen Umgang im öffentlichen Raum ihr Gesicht zeigen. Es ist ein Grundanliegen der freiheitlichen, abendländischen Gesellschaftsordnung, dass jeder Mensch mit seiner für alle erkennbaren Persönlichkeit, also mit offenem Angesicht, seine Standpunkte frei vertreten und äussern kann. Freie Menschen – Frauen und Männer – blicken einander ins Gesicht, wenn sie miteinander sprechen. Kein freier Mensch verhüllt sein Gesicht.

Dieses Verständnis wird ausdrücklich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestützt. Dieser hält in einem Urteil vom 1. Juli 2014 fest, dass freiwillige oder aufgezwungene Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum in Konflikt steht mit freiheitlichem Zusammenleben in einer freien Gesellschaft. Die Gemeinschaft kann solche Verhüllung als Angriff auf das Recht zur freien Entfaltung des anderen verstehen. Das Verbot von Burka und Nikab in der Öffentlichkeit ist dabei verhältnismässig und verletzt weder die Religions- noch die Meinungsfreiheit. Es stellt auch keine Diskriminierung dar.

Die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» richtet sich ausdrücklich auch gegen jene Verhüllung, der kriminelle, zerstörerische und vandalistische Motive zugrunde liegen. Zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung gehört daher das Verbot der Vermummung von Personen, die Straftaten begehen wollen. Nur ein landesweit gültiges Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum, das die Polizei per Verfassungsgrundlage in allen Kantonen dazu legitimiert und verpflichtet, gegen vermummte Straftäter konsequent vorzugehen, schafft verbindliche Rechtssicherheit.

Die auch in der Schweiz nicht abzustreitende Terrorgefahr kennt keine Grenzen. Im Sinne einer wirksamen Terror-Abwehr darf deshalb niemandem in der Schweiz zugemutet werden, irgendwo Personen in Ganzkörper-Verhüllung begegnen zu müssen, von denen nicht festgestellt werden kann, ob sie Mann oder Frau, harmlos oder gewalttätig, bewaffnet oder unbewaffnet sind. Verhüllung ist auch ein Mittel, um terroristische Absicht zu tarnen und zu verbergen.

Der vorliegende indirekte Gegenentwurf des Bundesrats trägt diesen Kernanliegen in keiner Weise Rechnung. Er reduziert das Gesichtsverhüllungsverbot auf den Kontakt mit Behördenvertretern und enthält eine Gesetzesanpassung, die aufgezwungene oder genötigte Gesichtsverhüllung unter Strafe stellen will. Die Elemente hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit und Terror-Abwehr werden gänzlich ausser Acht gelassen. Ein Gegenentwurf, der zentrale Elemente der Volksinitiative nicht aufnimmt, kann nicht als diskussionswürdige Alternative betrachtet werden. Hinzu kommt, dass die im Gegenentwurf formulierten Lösungsansätze gänzlich wirkungslos sind, wie wir fortfolgend begründen.

Föderalismus

Der Bundesrat lehnt die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» ab, da diese «unnötigerweise in die Autonomie der Kantone eingreift». Es solle den Kantonen überlassen werden, ob und welche Massnahmen sie treffen, die die Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit verbieten.

Wir stimmen zu, dass die föderalistische Staatsstruktur der Schweiz zu achten und zu schützen ist. Dem Subsidiaritätsprinzip ist Rechnung zu tragen. Die Argumentation des Bundesrats, dass er ein durch die Initiative gefordertes Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum mit der Begründung ablehnt, nicht in die Kompetenzen der Kantone eingreifen zu wollen, ist allerdings widersprüchlich. Art. 1 des Gesetzesentwurfs über das Gesichtsverhüllungsverbot enthält sehr wohl ebenso Vorschriften, die den Kontakt mit Behörden kantonsübergreifend regeln sollen. Eine konsequente Haltung wäre folglich gewesen, gar nicht erst einen Gegenentwurf zu formulieren.

Aus ordnungspolitischer Perspektive gibt es keinen Grund, ein landesweit gültiges Verhüllungsverbot abzulehnen. Die Schweizerische Bundesverfassung sieht unter Berücksichtigung der Subsidiarität seit ihres Inkrafttretens zahlreiche Themenfelder vor, in denen nationale Gesetzes- und Verfassungsbestimmungen Sinn machen. Dazu gehört aus unserer Sicht klar auch die Frage, welche Regeln für das friedliche Zusammenleben in der Öffentlichkeit gelten sollen.

26 verschiedene kantonale Verhüllungsverbots-Lösungen machen ordnungspolitisch keinen Sinn und können nicht im Interesse der Kantone sein. Es ist weder im Interesse der hier lebenden Bevölkerung noch akzeptabel für unser Land bereisende Touristinnen und Touristen. Die Widersinnigkeit eines «Flickenteppichs» unterschiedlichster Vorgaben sei anhand eines konkreten, realitätsnahen Praxis-Beispiels erläutert:

Man stelle sich vor, eine Touristengruppe aus den Golfstaaten (wo sich die Frauen in der Regel verhüllen müssen) fährt mit dem Zug vom Flughafen Zürich über die Zentralschweiz ins Tessin. In Zürich dürften die Frauen verschleiert einsteigen, in Luzern müssten sie sich des Schleiers entledigen, auf Urner Boden dürften sie ihn wieder anziehen, bevor er im Tessin endgültig abzuziehen wäre. Zum Vergleich: Das wäre, wie wenn für Autofahrer auf der Autobahn bei einem unsichtbaren Kantonsübertritt automatisch das Tempolimit ändert – ohne dass dies vorgängig angezeigt worden wäre.

Die Volksabstimmung im Kanton St. Gallen vom 23. September 2018, in der sich die kantonale Stimmbevölkerung mit klarer Mehrheit für eine eigenständige, von der eidgenössischen Initiative abweichende Form des Verhüllungsverbots ausgesprochen hat, zeigte klar auf, dass der erwähnte «Flickenteppich» ein realistisches Szenario werden dürfte, sollte eine entsprechende Verankerung in der Bundesverfassung scheitern. Nur eine nationale Lösung schafft hier verhältnismässiges Recht, was nicht zuletzt im Interesse des Tourismus sein dürfte.

Praxistauglichkeit

Die Erfahrungen des Kantons Tessin, wo eine der eidgenössischen Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» fast identische Verfassungsbestimmung seit dem 1. Juli 2016 in Kraft ist, haben gezeigt, dass ein generelles Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum (bei klar definierten Ausnahmen) problemlos umsetzbar ist. Wie Vertreter aus Behörden und Politik mehrfach äusserten, hat sich das Verhüllungsverbot als praxistauglich erwiesen. Besonders erwähnenswert ist dabei, dass arabische Touristinnen die Burka oder den Niqab jeweils sofort entfernen, wenn sie von der Polizei dazu angehalten werden. Hauptsächlich sind es vermummte Hooligans und Chaoten, die wegen der neuen Bestimmung gebüsst werden – die aber notabene vom indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates gar nicht erfasst werden.

Die im erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsverfahren geäusserten Befürchtungen, was die zu erwartenden Auswirkungen auf die Kantone betrifft, können also durch die realen Praxiserfahrungen widerlegt werden.

Das Argument, dass Frauen hierzulande nebst der Gefahr, zu Gesichtsverhüllung genötigt zu werden, unter diversen anderen Diskriminierungen zu leiden hätten und die Initiative deshalb abzulehnen sei, ist zu kurz gegriffen. Angebliche anderweitige Benachteiligungen wie «Lohndiskriminierung» oder «häusliche Gewalt» sind nicht Gegenstand der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und können deshalb nicht mit dieser in Verbindung gebracht werden.

Zwangsverhüllung

Grundsätzlich ist es zu begrüssen, wenn der Bundesrat die Problematik von in der Schweiz existierenden Zwangsverhüllungen anerkennt und gesetzliche Massnahmen dagegen ergreifen will. Wie die entsprechende Strafgesetz-Verschärfung (Art. 4) konkret umgesetzt respektive wie damit aufgezwungene von angeblich freiwilliger Verhüllung in der Praxis unterschieden werden soll, bleibt allerdings unklar. Es liegt kein stichhaltiges Konzept vor, das – ohne jeden Schweizer Haushalt permanent auszuspionieren – nicht zum bürokratischen Papiertiger zu verkommen droht.

Resumé

Zusammenfassend ist der indirekte Gegenvorschlag des Bundesrates zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» nicht zweckmässig und in der praktischen Anwendung als nicht verhältnismässig zu beurteilen. Wir appellieren an Sie, den indirekten Gegenentwurf zurückzuziehen und stattdessen den Kommissionen und der Bundesversammlung die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» zur Annahme zu empfehlen.

Egerkinger Komitee